Pflegen von Angehörigen: Nicht nur Familiensache | Regel-Recht aktuell Pflegen von Angehörigen: Nicht nur Familiensache – Regel-Recht aktuell
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Pflegen von Angehörigen: Nicht nur Familiensache

Frau Daldrup, der überwiegende Teil der Pflegebedürftigen in Deutschland wird zu Hause von Angehörigen gepflegt. Sind diese pflegenden Angehörigen gesetzlich unfallversichert?

Ja, seit dem 1. April 1995 sind alle nicht erwerbsmäßig tätigen häuslichen Pflegepersonen bei den Unfallkassen gesetzlich unfallversichert. Zum 1. Januar 2017 haben sich mit dem Zweiten Pflegestärkungsgesetz die Voraussetzungen zum Versicherungsschutz der häuslichen Pflegepersonen (§ 2 Abs. 1 Nr. 17 SGB VII – Siebtes Sozialgesetzbuch) geändert. Gesetzlich unfallversichert sind – wie bisher – alle Pflegepersonen wie zum Beispiel Familienangehörige und Verwandte sowie Nachbarn und Freunde, die eine pflegebedürftige Person nicht erwerbsmäßig in häuslicher Umgebung pflegen.

Können Sie erläutern, was das genau heißt?

Pflegepersonen sind Personen, die nicht erwerbsmäßig einen Pflegebedürftigen oder mehrere Pflegebedürftige mit mindestens Pflegegrad 2 in seiner häuslichen Umgebung wenigstens zehn Stunden wöchentlich, verteilt auf regelmäßig mindestens zwei Tage in der Woche, pflegen. Kurzfristige oder einmalige Pflegetätigkeiten reichen nicht mehr aus.

Pflegebedürftige sind Personen, die gesundheitlich bedingte Beeinträchtigungen der Selbstständigkeit oder der Fähigkeiten aufweisen und deshalb der Hilfe durch andere bedürfen. Die Pflegebedürftigkeit muss auf Dauer, voraussichtlich für mindestens sechs Monate und mit mindestens Pflegerad zwei bestehen.

Nicht erwerbsmäßig bedeutet, dass die Pflegepersonen für ihre Tätigkeit keine finanzielle Zuwendung erhalten, die das gesetzliche Pflegegeld übersteigt. Bei nahen Familienangehörigen wird im Allgemeinen angenommen, dass die Pflege nicht erwerbsmäßig erfolgt.

In häuslicher Umgebung bedeutet, dass die Pflege entweder im Haushalt der pflegebedürftigen Person – das kann auch in einer eigenen Wohnung in einem Alten- oder Pflegeheim sein – der Pflegeperson oder im Haushalt einer weiteren Person geleistet wird.

Alexandra Daldrup ist Referentin für Gesundheitsschutz für Pflegekräfte bei der Unfallkasse NRW Foto: UK NRW

Alexandra Daldrup ist Referentin für Gesundheitsschutz für Pflegekräfte bei der Unfallkasse NRW Foto: UK NRW

Und welche Tätigkeiten sind versichert?

Versichert ist die Pflegeperson bei pflegerischen Maßnahmen, die aufgrund der im Bescheid der Pflegekasse und dem Pflegegutachten festgestellten gesundheitlich bedingten Beeinträchtigungen der Selbstständigkeit oder der Fähigkeiten des Pflegebedürftigen in den Bereichen Mobilität, Selbstversorgung, kognitive und kommunikative Fähigkeiten sowie der Bewältigung von und selbstständiger Umgang mit krankheits- oder therapiebedingten Anforderungen und Belastungen. Das gilt auch bei eigenen typischen Verhaltensweisen und psychischen Problemlagen oder bei der Gestaltung des Alltagslebens und der sozialen Kontakte, die von der Pflegeperson erbracht werden sowie bei Hilfen der Haushaltsführung.

Der Beruf des Kranken- oder der Altenpflegerin ist ein Ausbildungsberuf. Die meisten Menschen, die einen Angehörigen oder eine Angehörige pflegen wollen, haben solch eine Ausbildung aber nicht, und damit fehlt ihnen auch oft das Wissen, wie sie sich vor Gefährdungen der eigenen psychischen und physischen Gesundheit schützen können. Wie kann sichergestellt werden, dass pflegende Angehörigen dieses Wissen erlangen?

Um die Gesundheit der nicht erwerbsmäßig Pflegenden zu schützen, müssen verschiedene Wege gegangen werden. Zum einen bei den Menschen, die ihre Angehörigen pflegen, aber auch bei den Ausbildungsrichtlinien der Alten- und Krankenpflegeausbildung, die auf den Gesundheitsschutz pflegender Angehöriger erweitert werden sollten. Das wäre für die Zukunft denkbar.

Das heißt konkret?

Für pflegende Angehörige ist es meist selbstverständlich ein Familienmitglied zu pflegen, „denn das ist ja Familiensache“. Wenn einer in der Familie krank war, wurde er auch innerhalb der Familie gepflegt bis er wieder gesund war. Nun ist es aber so, dass der Pflegebedürftige häufig nicht mehr gesund wird. Dies wird oft nicht bedacht und es ist den pflegenden Angehörigen auch meist nicht bewusst, dass die Pflegesituation über viele Jahre andauern kann und der oder die pflegende Angehörige durch die lang andauernde Belastung geradewegs in die Überforderung schlittert.

Pflegende Angehörige sehen sich oft nicht als Bedarfsgruppe und nehmen deshalb häufig die unterstützenden gesetzlichen Angebote und Leistungen nicht in Anspruch.

Folgende Themen müssen mehr vorangetrieben werden:

  • Wertschätzung von pflegenden Angehörigen in der Öffentlichkeit und Politik durch
  • gesellschaftliche Anerkennung der Pflegeleistung.
  • Professionelle und individuelle Netzwerke für pflegende Angehörige.
  • Eine stärkere Nutzerorientierung der Anbieter mit Abbau von Bürokratie, Reduktion der Kosten für die Familie, eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Pflege.

Pflegende Angehörige brauchen darüber hinaus eine gute Beratung, Schulung, Organisation und umfassende Informationen aus einer Hand. Dazu benötigen Sie ein gutes Hilfsnetzwerk, beispielsweise ein individuelles Netzwerk rund um die Pflege und Betreuung zu Hause sowie ein Netzwerk für den Notfall.

Gibt es auch Schulungsbedarf im Beratungsfeld der pflegenden Angehörigen?

Ja, es müssten auch Pflegeberater zu verschiedenen Themen geschult werden. Das könnten zum Beispiel Themen zum Aufbau von professionellen Netzwerken zum Gesundheitsschutz pflegender Angehöriger aber auch individuelle Netzwerke zur Organisation der häuslichen Pflege sein. Weiterhin sind Schulungen die umfassend die Lebenswelt, den Gesundheitsschutz sowie die Wertschätzung von pflegenden Angehörigen thematisieren von Bedeutung. Hierzu hält die Unfallkasse NRW ein umfangreiches Schulungsprogramm vor.

Doch selbst wenn man als pflegender Angehöriger die Sicherheitsregeln der Unfallkasse einhält, ist die Pflege eines Angehörigen mit starken Belastungen verbunden, wenn man gleichzeitig noch berufstätig sein sollte. Gibt es gesetzliche Regelungen, die pflegenden Angehörigen das Berufsleben erleichtern können?

Ja, es gibt gesetzliche Regelungen für pflegende Angehörige. Sie haben einen Anspruch auf unbezahlte Freistellung an zehn Tagen, wenn überraschend ein Pflegefall in der Familie auftritt oder die Pflege akut nicht sichergestellt ist. Dies soll es ihnen erleichtern, die Pflege für die oder den pflegebedürftigen Angehörigen zu organisieren und die akute Versorgung sicherzustellen. In der Regel zahlt die Pflegekasse des Pflegebedürftigen für diese zehn Tage das Pflegeunterstützungsgeld. Sie Angehörige müssen das bei der Pflegekasse der Pflegebedürftigen beantragen, benötigen ein ärztliches Attest für den Pflegebedürftigen und ihr Arbeitgeber füllt ein Formular zum Verdienstausfall aus.

Wer einen nahen Angehörigen mit einem Pflegegrad pflegt, hat darüber hinaus laut Pflegezeitgesetz einen Anspruch auf bis zu sechs Monate unbezahlte volle oder teilweise Freistellung von der Arbeit. Dies gilt aber nur, wenn der Betrieb, in dem sie arbeiten, mehr als 15 Beschäftigte hat. Wenn die Pflegezeit in Anspruch genommen werden soll, muss das dem Arbeitgeber mindestens zehn Tage zuvor mitgeteilt werden. Die Pflegezeit gilt auch für die Zeit einer Sterbebegleitung, bis zu drei Monate. Um den Verdienstausfall auszugleichen, können pflegende Angehörige ein zinsloses Darlehen in Anspruch nehmen. Das Darlehen wird beim Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben in Bonn beantragt.

Und es gibt die Familienpflegezeit. Die gibt pflegenden Angehörigen in Abstimmung mit dem Arbeitgeber die Möglichkeit, die Arbeitsstunden zu reduzieren, um neben der Pflege der oder des Angehörigen mit Pflegegrad weiter erwerbstätig sein zu können. Wer sich um pflegebedürftige Angehörige in häuslicher Umgebung kümmert, kann seine Arbeitszeit maximal zwei Jahre auf bis zu 15 Wochenstunden reduzieren. Dies gilt aber nur, wenn der Betrieb mehr als 25 Beschäftigte hat. Ergänzend bietet sich auch hier die Möglichkeit, ein zinsloses Darlehens beim Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben in Bonn zu beantragen.

Können Pflegezeit und Familienzeit auch miteinander kombiniert werden?

Ja, Pflegezeit und Familienzeit können auch kombiniert werden. Die gesamte Freistellung darf dann aber 24 Monate nicht überschreiten. Um Pflegezeit und Familienpflegezeit zu beantragen, müssen Fristen eingehalten werden.

Wo finden Menschen, die ihre Angehörigen pflegen wollen, weitere Informationen?

Menschen, die Angehörige pflegen wollen, finden umfassende Informationen auf der Homepage der UK NRW „Neuheit für Pflege“. Diese Homepage ist im Internet zu finden unter: www.unfallkasse-nrw.de/pflegende-angehoerige Über diesen Internet-Link können alle Portale zum Gesundheitsschutz pflegender Angehöriger aufgerufen werden.

Vielen Dank für das Interview!

Das Interview führte Falk Sinß, Universum Verlag