Sturz beim Skifahren auf mehrtägiger, vom Arbeitgeber organisierten Reise kann Arbeitsunfall sein
Der im Jahr 1979 geborene Entwicklungsingenieur E nahm 2016 gemeinsam mit anderen Mitarbeitern an einer von seinem Arbeitgeber traditionell im März initiierten 5-tägigen Reise nach Österreich teil. Hierbei wurden gemeinsame Aktivitäten in 3 Gruppen unternommen (Wandern, Rodeln, Skifahren). Die Einteilung der Gruppen richtete sich nach Können und Ausdauer. An jeder Gruppe nahm mindestens eine Führungskraft aus der erweiterten Geschäftsführung teil. Nach den Gruppenaktivitäten trafen sich täglich alle Teilnehmer durchmischt zum gemeinsamen Austausch. Betriebsfremde waren nicht eingeladen und nahmen auch nicht teil.
E stürzte beim Skifahren am 3. Tag der Reise (18.03.) und brach sich hierbei den rechten Unterschenkel sowie das Steißbein.
Seine Berufsgenossenschaft (BG) lehnte die Anerkennung als Arbeitsunfall ab: Es liege kein Versicherungsfall vor, weil E zur Zeit des Sturzes keine versicherte Tätigkeit verrichtet habe. Die zum Unfall führende Teilveranstaltung „Skifahren“ habe nicht allen an der Reise teilnehmenden Beschäftigten offen gestanden. Denn das Skifahren verlange Fertigkeiten, über die nicht alle Teilnehmer verfügten. Ein Gemeinschaftserlebnis mit der Möglichkeit des gegenseitigen Austauschs und der Stärkung des Zusammengehörigkeitsgefühls sei beim Skifahren im Gegensatz zu anderen möglichen Freizeitveranstaltungen (wie etwa Bowling oder Wanderungen) nur bedingt zu erreichen. Im Vordergrund hätten für den skifahrenden Teil der Belegschaft private Freizeitinteressen gestanden.
Die hiergegen gerichtete Klage vor dem Sozialgericht verlief für E erfolglos.
Im Berufungsverfahren hat das LSG das erstinstanzliche Urteil aufgehoben und die Beklagte verurteilt, das Ereignis vom 18.03.2016 als Arbeitsunfall anzuerkennen:
Mit seiner freiwilligen Teilnahme an der Reise und damit auch am Skifahren habe E zwar keine Pflicht aus dem Beschäftigungsverhältnis als Entwicklungsingenieur erfüllt. Jedoch sei die mehrtägige Reise und das hiervon umfasste Skifahren als versicherte betriebliche Gemeinschaftsveranstaltung zu werten. Bei natürlicher Betrachtungsweise habe es sich auch um eine einheitliche betriebliche Gesamtveranstaltung gehandelt. Deshalb seien während der Reise vorgesehene Aktivitäten wie das Skifahren versichert gewesen. Durch die Organisation unterschiedlicher Interessengruppen (Skifahren, Wandern, Rodeln) und dem anschließenden gruppenübergreifenden Austausch habe eine Teilnahme möglichst vieler Beschäftigter an der Gesamtveranstaltung gewährleistet werden können. Hierdurch hätten die betrieblichen Zwecke (Förderung des Gemeinschaftsgedankens und Stärkung des Wir-Gefühls innerhalb der Belegschaft) erreicht werden können. Gruppenintern sei dies auch in der Skifahrergruppe erreichbar gewesen. So könne das Skifahren bereits auf der Piste durch die gemeinsame Abfahrt zu einer Stärkung des Wir-Gefühls beitragen. Hinzu kämen gemeinschaftliche Aufenthalte an den Liften und Einkehr in Skihütten, bei denen ebenfalls Erfahrungsaustausch, Diskussionen und näheres Kennenlernen möglich gewesen seien. Die privaten Interessen der Skifahrer bzw. deren individuelles sportliches Erleben hätten daher hier nicht im Vordergrund gestanden. Die Reise habe mit einer Beteiligungsquote von mehr als 50 Prozent auch den betrieblichen Zweck erreicht.
Urteil vom 28. Mai 2020, Aktenzeichen: L 10 U 289/18