„Das Arbeitsschutzgesetz hat sich bewährt“
Das Arbeitsschutzgesetz wird dieses Jahr 20 Jahre alt. Zentrale Neuerung: Die Gefährdungsbeurteilung wurde eingeführt. Sie gehört seither zu den grundlegenden Pflichten von Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern – und hat deren Gestaltungsspielraum für das Vorbeugen von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten vergrößert. Was sich dadurch für Arbeitgeber verändert hat und wie sich das Arbeitsschutzgesetz bewährt hat, erzählt Saskia Osing, Stellvertretende Abteilungsleiterin Soziale Sicherung der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA).
Das Arbeitsschutzgesetz ist 1996 eingeführt worden. Seine zentrale Neuerung war die Gefährdungsbeurteilung. Wie hat sich die Organisation des Arbeitsschutzes für Unternehmen seitdem verändert?
Mit der Gefährdungsbeurteilung wurde 1996 das Kernelement des Arbeitsschutzes eingeführt, die Prävention bekam mehr Bedeutung. Mit der Analyse der Gefährdungen und der daraus gewonnenen Kenntnis über mögliche Gefährdungen ist es Betrieben möglich, Präventionsmaßnahmen zu planen und umzusetzen. Das Arbeitsschutzgesetz ist das „Grundgesetz“ des Arbeitsschutzes, die Gefährdungsbeurteilung stellt die wesentliche Grundlage für einen guten betrieblichen Arbeitsschutz dar. Seit seiner Einführung hat das Arbeitsschutzgesetz gezeigt, dass mit ihm zeitnah und flexibel auf Veränderungen reagiert werden kann. Der geltende Rechtsrahmen bietet alle Möglichkeiten, innerhalb eines Betriebes mögliche Gefährdungen für einzelne Tätigkeiten zu ermitteln und zu vermeiden.
Seit 1996 hat sich die Unfallquote fast halbiert, die Zahl der tödlichen Arbeits- und Wegeunfälle ist um rund 60 Prozent zurückgegangen. Ist dieser starke Rückgang auch auf das Arbeitsschutzgesetz zurückzuführen?
Das Arbeitsschutzniveau in Deutschland ist sehr hoch, wie die Erfolge beim Rückgang der Arbeitsunfälle zeigen. Und das Arbeitsschutzgesetz hat mit seinem Paradigmenwechsel, Vorgabe allgemeiner Schutzziele statt zahlreicher detaillierter Regelungen, dabei sicherlich eine Hauptrolle gespielt. Allerdings ist das Arbeitsschutzgesetz nur die rechtliche Basis für die sehr gute Entwicklung des betrieblichen Arbeitsschutzes, denn die rechtlichen Vorschriften bedürfen ja immer auch der praktischen Umsetzung. Dies ist Aufgabe der Unternehmen. Und die Betriebe konnten bei der betrieblichen Umsetzung auf die Unterstützung der Fachkräfte für Arbeitssicherheit und Betriebsärzte bauen. Auch die Berufsgenossenschaften haben mit ihrem branchenbezogenen Ansatz wertvolle Beratungsarbeit zur Verbesserung des betrieblichen Arbeitsschutzes geleistet.
Die letzte große Neuerung am Arbeitsschutzgesetz gab es 2013. Seitdem müssen Arbeitgeber psychische Belastungen bei der Gefährdungsbeurteilung berücksichtigen. Hat sich diese Aufnahme bewährt?
Schon vor der Änderung des Arbeitsschutzgesetzes 2013 sind bei der Gefährdungsbeurteilung auch Gefährdungen zu berücksichtigen gewesen, die zu einer psychischen Fehlbelastung führen können. Beispielsweise zählten dazu Umgebungsbedingungen wie extraauraler Lärm, die Gestaltung von Arbeits- und Fertigungsverfahren, von Arbeitsabläufen und ergonomischen Schichtplänen. Die Änderung 2013 brachte in der Sache daher eigentlich nichts Neues, diente aber der Klarstellung.
Die 2013 vorgenommene Konkretisierung hat die Arbeitsschutzakteure vor allem an die Bedeutung dieser Faktoren erinnert und deren Handlungen stärker darauf ausgerichtet. Ob nun diese Aktualisierung oder die Wirkung des Programms „Schutz und Stärkung der Gesundheit bei psychischen Belastungen“ der Gemeinsamen Deutschen Arbeitsschutzstrategie oder die gemeinsame Erklärung der Sozialpartner mit dem Bundesarbeitsministerium zur „Psychischen Gesundheit in der Arbeitswelt“ den wichtigsten Beitrag zu dem deutlich erkennbaren Fortschritt hinsichtlich der Handlungssicherheit und dem Bewusstsein der Arbeitsschutzakteure bewirkt haben, lässt sich nicht bestimmen. Wichtig ist, dass die Konkretisierung im Zusammenspiel mit den genannten Aktivitäten zu dem Thema psychische Belastung eine  sehr wirksame Öffnung der Arbeitsschutzakteure für dieses Thema ausgelöst hat.
Die Arbeitswelt ändert sich immer schneller, als Stichworte seien Industrie 4.0 oder Internet der Dinge genannt. Ist das Arbeitsschutzgesetz angesichts dieses rasanten Wandels noch aktuell oder bedarf es einer umfassenden Reform?
Das Arbeitsschutzgesetz hat sich in den letzten 20 Jahren als „Grundgesetz“ des Arbeitsschutzes bewährt. Seine grundlegende Konstruktion, Grundpflichten und Schutzziele zu benennen, die konkrete Ausgestaltung aber untersetzenden Verordnungen, technischen Regeln und den betrieblichen Experten vor Ort zu überlassen, ist nach wie vor richtig.
Einer Reform des Arbeitsschutzgesetzes bedarf es daher nicht. Mit dem Arbeitsschutzgesetz und seiner Zielrichtung können wir auch in Zukunft flexibel auf Veränderungen in der Arbeitswelt reagieren. Auch im Rahmen der Digitalisierung, Industrie 4.0 wird das Arbeitsschutzgesetz für die damit einhergehenden Veränderungen in der Arbeitswelt eine verlässliche Rechtgrundlage für die Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten darstellen.
Unternehmen und Unternehmensverbände kritisieren an Gesetzen ja gerne den bürokratischen Aufwand. Wie verhält es sich mit dem Arbeitsschutzgesetz? Hält sich der Aufwand im Rahmen oder fordern Sie hier Nachbesserungen?
Das Arbeitsschutzgesetz markierte mit der Vorgabe von Schutzzielen statt Detailregelungen vor 20 Jahren einen Meilenstein im Arbeitsschutzrecht. Seine grundlegende Konstruktion, die konkrete Ausgestaltung untersetzenden Verordnungen, technischen Regeln und den betrieblichen Experten vor Ort zu überlassen, hat sich bewährt. Das Arbeitsschutzgesetz an sich verfolgt den richtigen Ansatz.
Problematisch ist jedoch die Vielzahl von untersetzenden Regelungen, die in den Folgejahren nach und nach erlassen wurden. Derzeit ist der Arbeits- und Gesundheitsschutz einer der am stärksten reglementierten Lebensbereiche in Deutschland. Es ist notwendig, den Vorschriftendschungel zu lichten. Vor allem kleine und mittlere Unternehmen verlieren den Überblick, welche Gesetze, Verordnungen und Unfallverhütungsvorschriften für sie einschlägig sind und wie sie die Anforderungen erfüllen sollen.
Vielen Dank für das Interview.