Normung ist stark marktgesteuert | Regel-Recht aktuell Normung ist stark marktgesteuert – Regel-Recht aktuell
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Normung ist stark marktgesteuert

Die Normung ist ständig in Bewegung. Eingefahrene Strukturen brechen auf, neue Handlungsfelder entstehen. Angela Janowitz, stellvertretende Leiterin der KAN-Geschäftsstelle, spricht im Interview über die Entwicklung neuer Normen, die Freihandelsabkommen CETA und TTIP sowie Normung im Zeitalter der Globalisierung.

Nach welchen Kriterien wird über neue Normen oder die Änderung beziehungsweise Löschung bestehender Normen entschieden? Und wer trifft diese Entscheidungen?

Das Motto „der Markt entscheidet“ trifft in gewisser Weise auch heute noch auf die Normung zu, die der industriellen Revolution im 19. Jahrhundert entspringt. Normierte Maschinenteile ermöglichten erst die Massenproduktion, wirtschaftliche Interessen standen im Vordergrund. Sieht ein interessierter Kreis, zum Beispiel ein Unternehmen, Bedarf an einer Norm, stellt er einen Antrag bei der jeweiligen nationalen Normungsorganisation. In Deutschland ist das das Deutsche Institut für Normung (DIN). Soll es eine europäische oder internationale Norm werden, spielt das DIN den Ball an die europäische beziehungsweise internationale Normungsorganisation (CEN oder  ISO) weiter.

Zur Normungsarbeit sind alle interessierten Kreise, also auch Vertreter des Verbraucher-, Arbeits- oder Umweltschutzes, einzuladen. Und der Normenausschuss ist in seinen Entscheidungen über die Neuauflage einer Norm oder die Norminhalte nicht völlig frei. DIN betont beispielsweise das Kriterium der Marktrelevanz. In Normen ist nicht nur das technisch Machbare, sondern auch das gesellschaftlich Akzeptierte festzulegen. Entscheidungen sollen die Ausschussmitglieder dabei im Konsens treffen. Die Öffentlichkeit wirkt als Korrektiv im Normungsverlauf, da sie während der sogenannten öffentlichen Umfrage den Normentwurf kommentieren kann. Spätestens nach fünf Jahren ist eine Norm zu überprüfen. Normung ist somit stark marktgesteuert, gleichzeitig aber in Regeln eingebettet, die ihren gesamtgesellschaftlichen Nutzen sicherstellen sollen.

Angela Janowitz, stellvertretende Leiterin der KAN-Geschäftsstelle. Foto: Robert Bernhardt

Mit welchen Themen ist die Kommission Arbeitsschutz und Normung aktuell beschäftigt?

Ein sicheres Arbeitsmittel ist ein elementarer Baustein der Prävention. Wie kann man beispielsweise eine Baumaschine so gestalten, dass die Sichtverhältnisse sicher sind? Das kann in einer klassischen, sicherheitstechnischen Norm festgelegt werden. Zunehmend spielt aber auch die Verknüpfung klassischer Produkte mit innovativen Technologien eine Rolle. Bei der Intelligenten Persönlichen Schutzausrüstung sind Jacken mit Freisprecheinrichtungen und Sensoren zur Positionsübermittlung ausgestattet, Kleidung ist klimatisiert und verfügt über Gesundheits-Überwachungssysteme mit automatischem Notruf. Wir fragen uns, wie  diese neuen Technologien sinnvoll für den Arbeitsschutz genutzt und über die Normung etabliert werden können.

Auch der betriebliche Arbeitsschutz gerät vermehrt in den Fokus der Normung. Dabei stellt sich die Frage, welche Rolle Normung spielen kann, wenn es um die Gestaltung von Arbeitsplätzen mit innovativen Beleuchtungssystemen geht, die die biologische Wirkung des Lichts, unter anderem auf den Wach-Schlaf-Rhythmus des Menschen, gezielt einsetzen? Wo sind die Grenzen der Normung, wenn es noch viele offene Fragen zu den Chancen und Risiken neuer Technologien gibt? Und was ist von Staat und Unfallversicherungsträgern zu regeln und wo hat die Normung Vorfahrt? Alle diese Fragen werden uns in den kommenden Jahren intensiv beschäftigen.

Derzeit wird heftig über die Freihandelsabkommen TTIP und CETA gestritten. Ist schon absehbar, welche Auswirkungen sie auf den Arbeitsschutz und die Normung haben werden?

Handelshemmnisse durch Freihandelsabkommen abbauen klingt verlockend. Wenn Abkommen wie CETA und die gegenwärtig stockende TTIP weit über bisherige Abkommen, etwa der World Trade Organisation (GATT oder GATS) hinausgehen, stärken sie den Stellenwert eines freien Handels als Wert an sich noch weiter. Positiv ist durchaus, dass CETA das Einhalten von Arbeitsschutzbestimmungen und ein hohes Schutzniveau einfordert. Dennoch muss die Zeit zeigen, was beispielsweise wirtschaftliche Durchführbarkeit  meint. Müssen möglicherweise weitere Werte, wie der Arbeitsschutz, künftig noch vehementer gerechtfertigt werden? Und inwieweit dürfen sich zum Beispiel kanadische Investoren darauf berufen, sie seien aufgrund einer bestimmten europäischen Schutzvorschrift  unfair oder unbillig behandelt worden.

Auch zwischen der EU und den USA sind die Marktregularien und -prinzipien sehr unterschiedlich. So bauen die USA sehr stark auf den Wirkmechanismus der Produkthaftung. Der europäische Binnenmarkt fußt hingegen auf dem Inverkehrbringen von Produkten mit einem einheitlich hohen Sicherheitsniveau. In den USA gibt es keinen geringeren Anspruch an Sicherheit und Gesundheitsschutz, sondern unterschiedliche Rechts-, Sicherheits- und Normungsphilosophien und -systeme. Dies zeigt sich am Beispiel der Feuerwehrschutzkleidung: Während in den USA Feuerwehrleute in der Regel nur eine bestimmte Aufgabe ausführen (zum Beispiel Brandbekämpfung oder Lebensrettung), sollen Feuerwehrleute in Deutschland und anderen europäischen Ländern universell einsetzbar sein. Die Schutzkleidung ist dabei für den jeweiligen Einsatzzweck optimiert. Die universelle Bekleidung und die Bekleidung für spezielle Zwecke lassen sich allerdings nicht kombinieren. Eine gegenseitige Anerkennung könnte dazu führen, dass auf beiden Seiten des Atlantiks die jeweils weniger geeignete Schutzkleidung zum Einsatz kommt. Für den US-Feuerwehrmann ist die Kleidung nach europäischer Norm schlechter, für den EU-Feuerwehrmann die Kleidung nach US-amerikanischer Norm. Möglicherweise sind daher Internationale Normen ein Weg, um eine gemeinsame Auffassung zur Produktsicherheit zu erreichen.

Wohin geht die Reise von Normung und Arbeitsschutz?

Die Normung ist im Umbruch – die Globalisierung macht auch hier nicht halt. Derzeit diskutiert die elektrotechnische Normung in Deutschland, künftig auf die Normung bei der europäischen Normungsorganisation CENELEC vielleicht gänzlich zu verzichten und noch viel stärker auf die internationale Schwesterorganisation IEC zu bauen. Wer sich dort beteiligen will, steht nicht nur den europäischen Ländern gegenüber, sondern allen internationalen Mitgliedern der IEC. Die Unterschiede in den Positionen werden noch bunter, die Kosten höher und die Reisetätigkeit wird noch beschwerlicher. Das ruft danach, zusammenzuarbeiten, sich noch stärker zu vernetzen, Kapazitäten zu bündeln und Schwerpunkte zu setzen.

Auch stellen die innovativen Themen der Normung eine Herausforderung dar. Verkauft wird nicht mehr nur eine auf den Kunden zugeschnittene Sondermaschine, sondern zusätzliche Leistungen wie deren Wartung oder die Rücknahme von alten Maschinen. Wie kann die Normung darauf reagieren? Zudem werden auch soziale Themen zunehmend zur Spielwiese der Normung (zum Beispiel soziale Verantwortung von Unternehmen oder Gesundheits- und Sozialdienstleistungen). Wie kann die notwendige Expertise des Arbeitsschutzes bereitgestellt werden? Wie kann die klassische Normung mit den immer schnelleren Zyklen technischer Innovationen Schritt halten? Nationales Regelwerk und Normung laufen zunehmend parallel: Wie kann hier die Kohärenz erhalten bleiben und eine sinnvolle Arbeitsteilung erfolgen? Der Arbeitsschutz darf bei all dem nicht abwartend zuschauen, sondern muss die Veränderungen in der Normung aktiv mitgestalten.

 

Vielen Dank für das Interview !