„Die Branchenregeln machen den Unternehmen ein Komplettangebot“ | Regel-Recht aktuell „Die Branchenregeln machen den Unternehmen ein Komplettangebot“ – Regel-Recht aktuell
Nachgefragt

„Die Branchenregeln machen den Unternehmen ein Komplettangebot“

Marcus Hussing ist stellvertretender Leiter der Abteilung Sicherheit und Gesundheit der DGUV. Bild: DGUV

Marcus Hussing ist stellvertretender Leiter der Abteilung Sicherheit und Gesundheit der DGUV. Bild: DGUV

Alles Wichtige auf einen Blick, das bieten die neuen Branchenregeln der gesetzlichen Unfallversicherung. Sie fassen alle maßgeblichen Informationen zum Arbeitsschutz in einer Branche zusammen und machen Vorschläge für eine gelingende Prävention. Die erste Schrift dieses neuen Formats widmet sich der „Branche Gewinnung und Aufbereitung von mineralischen Rohstoffen“ (DGUV Regel 113-601). Anlässlich der Veröffentlichung der ersten Branchenregel hat Regel-Recht aktuell bei Marcus Hussing, dem stellvertretenden Leiter der Abteilung Sicherheit und Gesundheit der DGUV, nachgefragt, was der Grund für den Schriftentyp ist. 

Was ist eine Branchenregel?

Lese- und Kommunikationsgewohnheiten ändern sich. Was bedeutet das für die gesetzliche Unfallversicherung? Wie kann sie heute Ihre Zielgruppen erreichen? Diese und weitere Fragen haben sich die Fachbereiche der DGUV gestellt. Herausgekommen ist die Idee für ein völlig neues Medienprodukt: die DGUV Branchenregel.

Alles Wichtige auf einen Blick, das bieten die neuen Branchenregeln der gesetzlichen Unfallversicherung. Erstmals wird es eine auf die Branche zugeschnittene Aufarbeitung und Zusammenfassung der relevanten Bestimmungen und Informationen geben. Mit der Branchenregel allein soll der Klein- und Mittelbetrieb den Löwenanteil an Maßnahmen für einen sicheren und gesunden Betrieb schnell überblicken und passende Maßnahmen für seinen Betrieb ergreifen können. Hier bleiben Branchenregeln aber nicht stehen, Unternehmer und Unternehmerinnen sollen durch die ganzheitliche Betrachtung des Themenfeldes der Gesundheit im Betrieb auch für „weiche“ Themen wie betriebliche Gesundheitsförderung, psychische Belastungsfaktoren oder Demografie sensibilisiert werden.

Ebenso wie bei allen anderen Regeln der Unfallversicherung wirken Expertinnen und Experten aus der betrieblichen Praxis sowie die Sozialpartner an der Erarbeitung mit. Unter Einbeziehung aller Beteiligten und Interessengruppen werden dabei im Konsens Lösungen für die in den Branchenregeln angesprochenen Themen gefunden.

Worin unterscheiden sich Branchenregeln von DGUV Regeln? Im Publikationsverzeichnis werden beide als DGUV Regel geführt. Verwirrt das nicht die Nutzer?

Branchenregeln sind eine besondere Form der DGUV Regeln. Sie unterscheiden sich von diesen vor allem in zwei Punkten: In ihrer Ausrichtung als Gesamtkompendium und in ihrer Gestaltung.

Neu ist, dass die Branchenregel den Unternehmen ein Komplettangebot macht. Erstmals wird es eine auf die Branche zugeschnittene Aufarbeitung und Zusammenfassung der relevanten Bestimmungen und Informationen geben, Zudem zeigen die Branchenregeln konkrete Lösungen anhand von praktischen Beispielen für spezifische Gefährdungen auf. Mit der Branchenregel allein soll vor allem der Klein- und Mittelbetrieb den Löwenanteil an Maßnahmen für einen sicheren und gesunden Betrieb schnell überblicken und passende Maßnahmen für seinen Betrieb ergreifen können.

Herausgehoben ist sicherlich auch die Art der Ansprache: So sollen die Unternehmerinnen und Unternehmer direkt angesprochen werden, also „Sie …“, „Ihre Versicherten …“ und nicht mehr „Der Unternehmer …, die Versicherten …“. Verständliche Piktogramme, treffende Beispielbilder und die übersichtliche Gliederung erleichtern die Anwendung in der Praxis. Alle Branchenregeln folgen demselben Aufbau, so dass eine schnelle Orientierung durch den Nutzer möglich ist:

  1. Anwendungsbereich
  2. Grundlagen für den Arbeitsschutz: Was für alle gilt!
  3. Arbeitsplätze und Tätigkeiten – Gefahren und Maßnahmen
  4. Weitere Informationsquellen

In Kapitel 2 werden in allen Branchenregeln die grundlegenden Maßnahmen des Arbeits- und Gesundheitsschutzes zusammengefasst. In Kapitel 3 werden die für die Branche relevanten Gefährdungen, dann geeignete Schutzmaßnahmen sowie Gute-Praxis-Empfehlungen zusammengestellt. Das Kapitel 4 wird dann auf weiterführende oder vertiefende Informationsquellen hingewiesen. Als Hilfestellung sind zum Beispiel auch Checklisten geplant.

Es gibt schon eine Vielzahl an Vorschriften, Leitfäden, Handlungshilfen oder Merkblätter. Braucht es da überhaupt noch ein weiteres Medium?

Man könnte jetzt tatsächlich fragen: Brauchen wir wirklich noch weitere Schriften? Aber das hieße, den Charakter unseres neuen Produkts zu verkennen. Branchenregeln sind keine neuen Vorschriften, sie übersetzen das bereits vorhandene komplexe und abstrakte Arbeitsschutzrecht in eine für die Betriebe verständliche Sprache. Sie enthalten konkrete und wirtschaftlich tragbare Lösungen für die betriebliche Praxis. Wir möchten damit vor allem den kleinen und mittleren Betrieben (KMU) den Arbeitsschutz erleichtern.

Zentrales Anliegen ist es, die Vielzahl staatlicher Arbeitsschutzvorschriften, Unfallverhütungsvorschriften, Regeln, Normen und andere Regelungen des betrieblichen Arbeitsschutzes für die Betriebe einer bestimmten Unternehmenssparte praxisgerecht aufzubereiten. Dabei sollen alle Bereiche der Gesundheit im Betrieb berücksichtigt werden: die Arbeitstätigkeit, den Arbeitsplatz und die Arbeitsorganisation. Hierbei werden auch Aspekte der Arbeitsmedizin und der betrieblichen Gesundheitsförderung mit einbezogen werden. Ebenso wie Erkenntnisse aus dem Erfahrungswissen der Unfallversicherungsträger.

An wen richten sich die Branchenregeln hauptsächlich?

Zielgruppe der Branchenregeln sind in erster Linie Unternehmerinnen und Unternehmer. Denn sie sind für die Sicherheit und Gesundheit ihrer Beschäftigten verantwortlich. Durch den hohen Praxisbezug bietet das neue Format aber auch einen hohen Nutzen für weitere betriebliche Akteurinnen und Akteure – wie zum Beispiel Personal- und Betriebsrat, Fachkräfte für Arbeitssicherheit oder Sicherheitsbeauftragte.

Welche Rechtskraft hat eine Branchenregel?

Branchenregeln sind eine besondere Form der DGUV Regeln. Sie setzten – ebenso wie alle anderen DGUV Regeln – kein Recht, sondern fassen geltendes Recht zusammen und erläutern dies.

Kürzlich ist die erste Branchenregel erschienen, die DGUV Regel 113-601 „Branche Gewinnung und Aufbereitung von mineralischen Rohstoffen“. Sind noch weitere Branchenregeln geplant? Und wenn ja: welche sind das und wann werden sie veröffentlicht?

Die Branchenregel „Gewinnung und Aufbereitung von mineralischen Rohstoffen“ hat in der Tat nur den Anfang gemacht. Sie ist am 17. März 2016 erschienen.

Weitere 36 Branchenregeln sind in der Bearbeitung, so zum Beispiel in den Branchen Abfallwirtschaft, Callcenter,  Gießereien, Roheisen und Stahl, Schreinereien, Galvanik, Schiffbau, Einzelhandel, Kindertageseinrichtungen, Schulen und Hochschulen und viele mehr. Wann genau diese veröffentlicht werden, hängt von vielen Faktoren ab, so unter anderem von der Beschlussfassung in den zuständigen Gremien der DGUV und der Erstellung des Layouts durch die Medienproduktion der DGUV in München. Die nächsten Brancheregeln werden voraussichtlich zu den Branchen „Abfallwirtschaft“ und „Callcenter“ in diesem Jahr veröffentlicht werden.

Darüber hinaus werden die Möglichkeiten zur elektronischen Bereitstellung der Branchenregeln geprüft. Außerdem sollen die Wirksamkeit, Verständlichkeit und Nutzerfreundlichkeit der Branchenregeln durch eine geplante Evaluation untersucht werden. Die ersten Rückmeldungen aus der Praxis deuten auf eine sehr positive Aufnahme der Branchenregeln hin.

Vielen Dank für das Interview!